Farben für die Seele
Schweigen kann manchmal so schön sein. Das „Varieté Pegasus“ in Bensheim sorgt für andächtiges Staunen
Pegasus, jenes geflügelte Pferd aus der griechischen Mythologie, ist das Sinnbild für Phantasie, für jene, die sich erst in Gedanken manifestiert, um dann zu Gefühlen zu werden. Pegasus, das ist das so grundlegend Positive und von den Realitäten verschonte, dass es alleine schon deswegen als Utopie verstanden wird. Das Varieté-Theater „Pegasus“ in Bensheim hat sich nach diesem Figur gewordenen Traum der Dichter benannt. Und wie das mit Utopien im harten Alltagseinsatz manchmal so ist, wurde auch das Bensheimer Flugpferdchen irgendwann auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. 1996 vom ehemaligen „Tigerpalast“-Mann Willigis „Ben“ Köhler gegründet, stand im Januar 2005 die Insolvenz fest. Seitdem herrschte Ruhe in dem hübschen Varietéraum mit seinen Jugendstilanleihen, die nicht der Gefahr erlegen sind, den Jugendstil zum Kitsch zu verniedlichen. Doch das „Pegasus“, an wenig prominenter aber dafür umso romantischerer Lage am Rand der Bensheimer City gelegen, ist im Oktober wieder auferstanden, hat mit Claudio Di Rago einen neuen Geschäftsführer und mit Karl Roland Zillenbach einen neuen künstlerischen Leiter
bekommen. Zillenbach bringt aus Speyer einige Varietéerfahrung mit, Di Rago wird im „Pegasus“ oft genug den Geschäftsführerschreibtisch mit dem Kochherd vertauschen – er würzte schon in der Schweiz, in der Pfalz und im kultigen „Habereckl“ in Mannheim. Eines blieb indes im „Pegasus“ gleich: Karin Lacroix, der gute Geist des „Pegasus“, führt weiterhin den Ticketshop im Bensheimer Neumarkt-Zentrum. Sie gehört seit 1996 zum Team des Theaters.
„Paris, Paris – Die Sterne des Variete“ heißt die neue Show, nach der geschäftlich gelungenen Auferstehung. Premiere war im Oktober, geboten wird ein Programm unter anderem mit dem Franzosen Petit Gougou als blasierter Oberkellner. Gougou wirkte schon bei „Roncalli“ und beim Internationalen Zirkusfestival in Monte Carlo mit. Ebenfalls ab sofort auf der „Pegasus“-Bühne: die Trapezartistin Mara Bittmann.
Zwei Momente mit Karin Lacroix muss man erleben, um den besonderen Charme des „Pegasus“ auch außerhalb dessen Bühnenraums zu verstehen: wenn sie Anrufern oder Besuchern mit schier aussichtlosen Sonderwünschen, etwa bei Kartenbestellungen, dennoch zu ihrem Glück verhilft („Man tut, was man kann.“) und wenn sie über das Varieté im Allgemeinen und das „Pegasus“ im Besonderen spricht. „Varieté, das ist Großillusion, Zauberei, Jongelage, Akrobatik, Kontorsion (Verbiegeartistik), Trapezkunst und Comedy. Eine Welt zum Abtauchen und zum sich darauf einlassen. Das ist auch das Wichtigste, was ein Gast mitbringen sollte: Die Bereitschaft, sich auf das Programm einzulassen.“ Varieté, das sei der „kleine, feine Bruder des Zirkus“.
Und das „Pegasus“?. „Das ist die ganze Welt des Varieté, aber auf dessen Topebene. Wir bieten unseren Gästen höchste Qualität und kreatives Varieté.“ Kenner schätzen an ambitioniertem Varieté freilich noch ganz anderes. Etwa die Mischung zwischen Programmteilen von höchster Verträumtheit, die stille Poesie mancher Darbietungen und den Wechsel mit spektakulären und durchaus auch plakativen Szenen.
Ein Varietéabend sei wie ein noch junges aber bereits geschlechtsreifes Leben, hat Peter Ustinov einmal gesagt: „Herrliche Körper, hohe Gelenkigkeit, viel Grund zum Lachen und kaum Konversation.“ Einen Unterschied zum wahren Leben gebe es dann in einem Varietéprogramm doch noch: „Die zuschauenden Damen sitzen immer nur staunend da und sagen kein Wort.“
Das Haus, in dem das „Pegasus“ heimisch ist war einmal eine Gerberei, die Gastronomie im Untergeschoss („Alte Gerberei“) hat sich nach ihr benannt. Gediegen geht es dort zu, auch wer nur zum Essen kommt, bekommt die Ahnung, welche Ruheinseln Bensheim an seinem Stadtrand verbirgt. Wobei das präferierte Modell eines Abends, der selbst aus angegrauten Seelen innere Frohgemüter macht, einer klaren Dramaturgie folgen sollte: vorab ein kleiner Abstecher in die „Alte Gerberei“, vielleicht ein Häppchen dort, womöglich nur einen Drink. Dann in das Varietéprogramm. Und nach dessen Ende – wenn jeder seine Worte wieder gefunden hat - zum Hauptgang zurück in das Restaurant. Für die nachgängigen Optionen an einem solchen Abend zeichnet das „Pegasus“ dann freilich nicht mehr verantwortlich. Initiator für sie ist es aber gerne.
„Varieté Pegasus“, Platanenallee 5, Bensheim. Der Ticketshop ist im Neumarkt Center 1-5 in Bensheim. Kontakt zum „Pegasus“ gibt es unter Telefon 06251 62000 und Informationen unter www.varietepegasus.de. Gespielt wird mittwochs bis samstags um 20.30 Uhr, sonntags um 16 Uhr. Die Preise beginnen bei (ermäßigt) 20 Euro im Vorverkauf und enden bei 36 Euro für Erwachsene an der Abendkasse. Parkplätze gibt es in einem Parkhaus direkt gegenüber des „Pegasus“. Das Parken dort ist abends kostenlos.
Jürgen Buxmann
(Das Variete Pegasus hat inzwischen den Betreiber gewechselt, nachdem der vorherige unter Nichtbezahlung seiner Rechnungen (auch beim Outback-Magazin) in den Konkurs schlitterte. Neuer Chef ist Thomas Richter, Intendant der Heppenheimer Festspiele, Anm.d.Red.)