Die Rampe ins Traumpanorama
Man sollte ein guter Starter sein. Wer sich als Pilot eines Hängegleiters – der Volksmund sagt Drachenflieger dazu – am Startplatz am Melibokus vertut, riskiert einen spektakulären Absturz. Die Startrampe für Drachflieger gibt es am höchsten Berg der Bergstraße (517 Meter) seit 1999. Gebaut hat sie der „1. Odenwälder Drachenflieger Club“ (ODC). Wer vom Melibokus aus fliegen will, braucht den B-Schein, die höchste Drachenfluglizenz. „Wir raten darüber hinaus dringend, vor dem ersten Start am Melibokus einen erfahrenen Melibokusflieger zu Rate zu ziehen“, sagt Harald Lang vom ODC. Piloten, die sich von der nordwestlichen Seite des Berges in die Luft stürzen, haben dann schon zwei Herausforderungen hinter sich: der Melibokus ist nur mit Sondergenehmigung zu befahren (der ODC hilft, diese zu bekommen), zudem ist auf der passähnlichen Zufahrt mit nicht immer verantwortungsvoll fahrenden Mountainbikern zu rechnen. Was schon die Auffahrt zu einem Abenteuer machen kann. Und weil der Aufbauplatz für die Drachenflieger weder glatt noch hindernisfrei ist, braucht es bei mehreren Fliegern, die gerade ihr Gerät aufbauen, ein kollegiales Verhalten.
Die Flüge entschädigen für alles. Das Panorama von Bergstraße und Rheinebene, mit dem zu ahnenden Schwarzwald gen Süden und Frankfurt mit dem Taunus im Norden hat seinen Reiz.
500 Starts gibt es nach ODC-Angaben pro Jahr. Jeder offizielle Drachenfliegerstartplatz braucht einen dazugehörigen Landeplatz. Jener der Melibokusflieger liegt unweit des grünen Berges auf einem Feld zwischen Alsbach und Zwingenberg nahe des Alsbacher Feuerwehrgerätehauses. Mancher fliegt ein dennoch Stück weiter und kommt nach 350 Kilometern in der Tschechei wieder runter. „Der Rekord vom Melibokus aus bisher“, sagt Lang. „Nach knapp acht Stunden kam der Kollege damals in unserem Nachbarland wieder auf den Boden.“ Die meisten landen jedoch in Sichtweite des Hausberges der Bergsträßer. Die Höhendifferenz zwischen Startrampe und Landeplatz beträgt 414 Meter.
Doch dahin kommen ja nur die „guten Starter“. Was das ist, erklärt Harald Lang vom ODC: „Man braucht vor allem Erfahrung. Der Melibokus ist nichts für Anfänger. Dort oben braucht es einen besonders kräftigen Anlauf.“ Für Gleitschirmflieger ist der Startplatz übrigens tabu. Er ist nicht für den Sport mit dem fallschirmartigen Fluggerät zugelassen.
Luftige Treue
Drachenflieger nutzen Thermiken, also aufsteigende Warmluftschichten. Durch sie können sie sehr schnell über die Höhe des Startplatzes hinauf aufsteigen. Rund 37.000 Menschen üben in Deutschland derzeit den Sport des „Hängegleiterfliegens“, wie das Drachenfliegen offiziell heißt, aus. Die Preise für die rund 35 Kilo schweren Hängegleiter beginnen bei rund 4000 Euro. Dazu kommt die Anschaffung eines Rettungsschirms (ab 500 Euro), des Gurtzeugs, mittels dessen sich die Flieger in das Fluggerät einhängen (ab 1000 Euro), ein Helm (100 Euro) und Instrumente (200 Euro) mit denen der Pilot die Höhe und deren Veränderung messen kann.
Einfach losfliegen ist nicht. Ein „Grundschein“ befähigt, unter Aufsicht einen moderaten Hang stets bodennah hinab zu gleiten. Der A-Schein befähigt zu Flügen unter so genanntem „Fluglehrerauftrag“, also beaufsichtigte Flüge. Wer vom Melibokus aus ohne irdischen Grenzübertritt in Nachbarländer gleiten möchte, braucht den B-Schein, die so genannte „Überlandflugberechtigung“. Jede der drei Lizenzen kostet rund 500 Euro. Für die B-Lizenz sind rund 30 Unterrichtsstunden vorgesehen. Mit 16 Jahren kann es losgehen.
Drachenflieger bleiben ihrem Sport überdurchschnittlich lange treu. Von 100 Fliegern sind 99 nach drei Jahren noch aktiv, nach fünf Jahren sind es noch 94, nach zehn Jahren noch 89. Der Sport schlägt damit Fußball (von 100 noch 39 nach zehn Jahren), Tennis (66) und Golf (72) um Längen. Nur Motorsportler (91) und Fallschirmspringer (93) sind nach einem Jahrzehnt nach Aktivitätsbeginn ihrem Sport treuer.
Dem 1975 gegründeten 1. Odenwälder Drachenflieger Club gehören rund 160 Mitglieder an. Er ist am Melibokus und im Fluggebiet Erlau bei Nonrod aktiv. Mitglieder zahlen 55 Euro pro Jahr. Am Melibokus ist auch der Start von Gastfliegern ohne Vereinsmitgliedschaft möglich. Infos und Kontakt unter www.ersterodc.de.
Jürgen Buxmann